Gucci Podcast-Moderatorin:
Hallo und willkommen zurück beim Gucci Podcast. Diese Folge ist der neuen Sonderausgabe des CHIME FOR CHANGE Zine gewidmet, das sich mit der Kampagne #SayHerName befasst. Dieses CHIME Zine wurde zusammen mit dem African American Policy Forum und Kimberlé Crenshaw als Gastredakteurin erarbeitet.
Eine Tochter, von der Polizei in ihrem Auto erschossen, während ihr vier Monate alter Sohn sich auf dem Rücksitz befand. India Jasmine Kager. Say Her Name.
Eine Schwester in einer psychischen Krise, die von der Polizei in ihrem Zuhause festgehalten wurde und infolge des Vorgehens der Beamten starb. Kayla Moore. Say Her Name.
Eine Schwester, die in Einzelhaft gehalten wurde und dort starb. Layleen Xtravaganza Cubilette-Polanco. Say Her Name.
In dieser Folge geht es um die Geschichten dieser drei schwarzen Frauen, die Opfer von Polizeigewalt wurden. Ihre Geschichten werden von Angehörigen erzählt, die das Vermächtnis der Opfer hochhalten – Müttern und Schwestern, die auch am Zine mitgewirkt haben.
Gina Best ist die Mutter von India Kager, die 2015 von der Polizei von Virginia Beach getötet wurde; Maria Moore ist die Schwester von Kayla Moore, die 2013 durch die Hand der Polizei von Berkeley ums Leben kam; und Melania Brown ist die Schwester von Layleen Xtravaganza Cubilette-Polanco, die im Juni 2019 in Einzelhaft im Gefängnis von Rikers Island starb.
Als Erste kommt Gina Best zu Wort. Sie ist Gründungsmitglied des Say Her Name Mother’s Network und unermüdliche Kämpferin für Gerechtigkeit – für ihre Tochter und alle schwarzen Frauen und Mädchen, die durch Polizeigewalt ums Leben gekommen sind. Gina Best liest ihre Geschichte mit dem Titel „Amputated Hearts“ – Amputierte Herzen.
Gina Best:
Es beginnt mit Unruhe im Herzen …
Wie reagiert eine Frau, die gerade erfahren hat, dass sich ihr Leben in acht, neun Monaten für immer verändern wird, weil sie Mutter wird? Mutter eines eigenständigen menschlichen Wesens? Manche Frauen reagieren schockiert, andere überglücklich. Auf jeden Fall aber lässt sie den Gedanken in ihr Herz – und denkt weiter nach.
Was tut eine Mutter …, wenn sie bewusste Entscheidungen getroffen hat und wenn sie dafür gesorgt hat, dass das Leben, das da in ihrem Bauch heranwächst, gesund auf die Welt kommt? Sie hört auf die intuitive, innere Stimme ihres Herzens und unternimmt die verschiedensten ganzheitlichen Schritte für eine gesunde Schwangerschaft.
Was tut eine Mutter …, wenn sie mit dem Stethoskop oder beim Ultraschall zum ersten Mal den lebhaft rauschenden, rhythmischen Herzschlag ihres Babys hört?
Was tut eine Mutter …, wenn die Wehen begonnen haben und ihr bewusst wird, dass sie in wenigen Stunden das kleine, erträumte Wesen kennenlernen und in die Arme schließen wird? Sie nimmt unerschrocken jede einzelne der barbarisch schmerzenden Wellen, weil sie in ihrem Herzen weiß, dass sie irgendwann am Ziel dieses schmerzhaften Weges angelangt sein wird.
Was tut eine Mutter …, wenn sie wenige Augenblicke nach der Geburt das erste Wimmern ihres Babys hört? Sie hofft in ihrem Herzen, dass ihre Gebete um Gesundheit und Schutz für dieses kleine Geschöpf erhört worden sind. Und als sie erfährt, dass ihr Baby gesund ist, wird ihr Herz ruhig, und sie seufzt voll Dankbarkeit und Erleichterung.
Was tut eine Mutter …, wenn sie zum ersten Mal in das engelsgleiche Gesicht des Kindes blickt, das sie geboren hat, und dieses kostbare Kleinod in ihre Arme schließt? In ihrem Blick mischen sich Hoffnung, Neugier, Sorge und Unsicherheit, während sich ihr aufgeregt schlagendes Herz mit liebender Wärme und mütterlicher Entschlossenheit füllt.
Was tut eine Mutter …, die sich um ihren kleinen Liebling kümmert und über ihn wacht, während dieser spielt, schläft und heranwächst, prägende Erfahrungen sammelt, Teil der Gesellschaft wird und sich durch eine Welt bewegt, zwischen deren „Meilensteinen“ überall Minen lauern? Sie betet in ihrem Herzen, dass ihrem Kind nur das Beste widerfahren wird, was das Leben zu bieten hat. Sie beschließt in ihrem Herzen, dass sie auf immer und ewig ein kluger Beschützer für ihr Kind sein und es auf jedem Schritt durch das Leben führen und begleiten wird.
Was tut eine Mutter …, deren Tochter ins Teenageralter kommt, in dem Turbulenzen und äußere Angriffe auf das Selbstbewusstsein des Mädchens garantiert sind und mit größter Wahrscheinlichkeit in ihr Herz und ihre Psyche dringen werden? Sie hört zu, festigt ihr Herz und stärkt das Selbstwertgefühl ihrer Tochter durch liebende Ermutigung, ohne dabei zu vergessen, dass das Leben in der harten Wirklichkeit nicht gerecht ist. Besonders für schwarze Mädchen in einer Welt, in der sie schon auf den ersten Blick abgewertet werden. Sie erinnert ihre Tochter daran, stark zu bleiben, und jenen Menschen und Situationen, die versuchen werden, sie zu brechen, mit einem Herzen aus Stahl zu begegnen.
Was tut eine Mutter …, die alles getan hat, was sie konnte, um ihre Tochter mit ganzem Herzen zu lieben, für sie zu sorgen und sie zu beschützen, sie zu bilden und ihr den Weg zu zeigen, sie all die Jahre hindurch in ihren Wünschen, Zielen und Träumen zu unterstützen, und schließlich diesen Anruf erhält? Diesen einen Anruf, den jede Mutter im Herzen fürchtet. Den Anruf, der ihr Herz in ein hörbares Stolpern versetzt, wenn sie die eisigen Worte vernimmt: „Ihre Tochter ist tot. Sie wurde von der Polizei getötet.“
Was tut eine Mutter?!
Was tut eine Mutter …, wenn das EINZIGE, was sie in diesem Sekundenbruchteil vor sich sieht, das Gesicht ihrer Tochter ist? Und plötzlich … nimmt dieses schöne Gesicht einen verzerrten Ausdruck an. Verzerrt vor Schmerz, Angst und Schrecken, als sich feurig heiße Kugeln der Polizei in ihren Körper bohren. Kugeln einer Polizei mit verkommenen Herzen, die den Körper einer unschuldigen schwarzen Frau durchdringen.
Was tut eine Mutter…, in diesem Moment, in dem ihr Herz amputiert wird?
Was tut eine Mutter …, wenn es auf die immer wiederkehrende Frage „WARUM hat die Polizei meine Tochter getötet?“ keine Antwort gibt?
Was TUT eine Mutter …, wenn sie nicht weiß, was sie noch tun soll, in einer Welt, die DARAUF BESTEHT, NICHTS dagegen zu tun, dass schwarze Frauen von der Polizei getötet werden?
Was soll diese Mutter tun?
Leben mit amputiertem Herzen
Meine geliebte, sanftmütige Tochter India Jasmine Kager ist eine der vielen schwarzen Frauen, die von der Polizei gnadenlos getötet und dann systematisch aus dem Gedächtnis gelöscht und vergessen wurden.
India war eine junge Frau und Mutter zweier kleiner Söhne, Roman und Evan. Mit Sicherheit hat sie all die innigen Momente des Mutterseins erlebt, die auch ich erlebt habe. Indias Leben wurde ihr UND IHREN SÖHNEN gestohlen, so wie es Hunderten anderer schwarzer Frauen erging. Von Männern der Strafverfolgung, die mit von Adrenalin angefüllten Herzen ihre mörderischen Taten vollbrachten. Im Gegensatz zu India durften diese Männer zu ihren Familien und Kindern zurückkehren. In ihren kalten Herzen wussten sie, dass sie wegen dieser himmelschreienden, gesetzlosen Taten nie verfolgt werden würden. Und so jagen und töten sie mit ihren NIEDERTRÄCHTIGEN Herzen weitere unbewaffnete, wehrlose schwarze Frauen.
Mit amputiertem Herzen und niederschmetternder Trauer erinnere ich mich an die ungläubige Verwirrung, die Übelkeit, meinen von einem dichten Nebelschleier umgebenen Geist und die nicht enden wollenden Tränen, als ich Indias Todesanzeige schrieb und ihren weißen Sarg aussuchte.
Mit amputiertem Herzen, vernichtender Trauer, unentwegt kreisenden Gedanken und zitternden Knien näherte ich mich India in ihrem Sarg. Da tat sich vor meinem inneren Auge plötzlich das Bild meiner süßen Indy auf, wie sie als Baby in ihrer weißen Wiege lag und schlief. Ich beugte mich über sie, küsste ihre Stirn und wünschte mir, ihr warmherziges Wesen würde auf wundersame Weise zurückkehren und ihr Herz wieder zu schlagen anfangen.
Mit amputiertem Herzen kämpfte ich mit dem brennenden Schmerz, den der Gegensatz zwischen diesen beiden Bildern in mir hervorrief – India als Kind in ihrem weißen Bettchen und India in diesem Moment, in ihrem weißen Sarg.
Was tut eine Mutter … Und warum müssen wir mit amputierten Herzen und dieser unerbittlichen, vernichtenden Trauer leben? Das ist die Frage, die ich mir jeden Tag stelle.
So wie unsere Töchter wurden wir von kaltherzigen Killern, denen unser Leben NICHTS bedeutet, gewaltsam an diesen unerträglichen Ort gebracht. Keine noch so große Menge eines Narkosemittels kann den Schmerz unserer amputierten Herzen betäuben oder lindern.
Mit amputiertem Herzen sind wir gezwungen, irgendwie auszuhalten und die Dunkelheit zu durchqueren, bedrückende Nanosekunden, Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre, die seit der straflosen Tötung unserer Töchter und anderer schwarzer Frauen durch die Polizei vergangen sind.
Mit amputiertem Herzen loten wir die Tiefe unseres Schmerzes aus, in einer Welt, die beschlossen hat, sich abzuwenden, nichts zu unternehmen und schwarzen Frauen, die von hartherzigen Männern getötet wurden, jegliches noch so geringe Maß an Gerechtigkeit abzusprechen.
Was für ein Herz hat jemand, der untätig und schweigend danebensteht, wenn eine schwarze Frau von der Polizei erschossen wird?
Mit amputiertem Herzen und vernichtender Trauer beobachte ich das Klima in unserer Gesellschaft und frage, warum die Geschichten von schwarzen Männern, die von der Polizei getötet werden, überall verbreitet werden und sofortige Aufmerksamkeit erfahren? Wenn aber bekannt wird, dass das Leben einer schwarzen Frau durch die Polizei ausgelöscht wurde, ist das völlige Gegenteil der Fall.
Mit amputierter Empathie entscheiden sich Menschen, die für das und innerhalb des „Systems“ arbeiten, bequeme Halbwahrheiten zu wiederholen, anstatt die frauenverachtenden Gesetze abzuschaffen, die dahinterstehen.
Sollen schlimme Verbrechen gegen Kinder, ältere Menschen oder andere wehrlose Personen angeprangert werden, dann bringen die Leute hastig trotzige Erklärungen wie „Das ist NICHT Amerika“ und „Wir sind besser als das!“ hervor. Doch was ist mit unseren kollektiven Herzen geschehen, wenn wir untätig zusehen, wie schwarze Frauen weiter durch Beamte der Strafverfolgung getötet werden?
Unsere Urgroßmütter und Großmütter litten mit gebrochenem Herzen in einer Welt, in der sie belästigt, brutal vergewaltigt und geschwängert wurden und ihre Kinder ihnen buchstäblich aus den Armen entrissen und von Sklavenhändlern mit hasserfüllten Herzen verkauft wurden.
Mit amputiertem Herzen und vernichtender Trauer um meine geliebte Tochter und ihre kleinen Söhne frage ich: Hat sich überhaupt irgendetwas wirklich geändert?
Sind Sie gewillt, Ihr Herz zu befragen? Sind Sie gewillt, mehr zu tun, wirklich etwas zu unternehmen, um ein weiteres amputiertes Herz zu verhindern?
Maria Moore:
Vor sieben Jahren erhielt ich bei der Arbeit einen Anruf, der das Leben meiner Familie für immer veränderte. Als ich auf schnellstem Wege nach Hause zu meinem Vater fuhr, hatte ich immer wieder nur den einen Gedanken: „Meine Schwester ist tot, meine Schwester ist tot, meine Schwester ist tot.“ Diese Worte schossen wie wild durch meinen Kopf, während ich versuchte, durch den Verkehr zu manövrieren und die Wirklichkeit zu begreifen, dass ich sie nie mehr lebend wiedersehen würde. Ich hatte nie die Chance, ihren Anruf zwei Tage vor ihrem Tod zu erwidern, hatte nie die Chance, ihr den neuesten Familientratsch zu berichten, und ich hatte nie die Chance, sie zu beschützen.
In meinem Traum erhalte ich einen panischen Anruf von Kayla, dass die Polizei vor ihrer Tür steht. Ich sage ihr, sie solle ruhig bleiben, Papa und ich seien schon unterwegs. Papa kommt als Erster an, eilt in ihre Wohnung und löst die Situation sofort auf, wie er es auch in der Vergangenheit viele Male getan hat. Diesmal ist es nicht anders. Er begleitet Kayla in den Krankenwagen, wie so oft in der Vergangenheit. Er erklärt, sie brauche psychiatrische Betreuung, wie so oft in der Vergangenheit.
In meiner Traumwelt ist Kayla am Leben.
Sie ist am Leben …, um das Erwachen von #BlackGirlsMatter, #SayHerName und #BlackLivesMatter zu sehen, ein neues Erwachen sozialer Bewegungen und gesellschaftlicher Veränderungen, die endlich das Leben von Frauen, Trans-Gemeinschaften und intersektionalen Verbündeten im Kampf gegen Rassismus und Sexismus erfassen. Sie erkennt den Zusammenhang zwischen COVID-19 und systemischem Rassismus als duale Pandemien, die beide sowohl hier bei uns als auch überall auf der Welt erkannt werden müssen.
Kayla gibt sich nicht damit zufrieden, zu Hause zu bleiben, während draußen nach dem Tod von Breonna Taylor, George Floyd und so vielen anderen das Chaos tobt. Sie trommelt ihre Clique zusammen und ruft Kriss, einen Vertreter der Stadt Berkeley an, den sie stets nur beim Vornamen anredete, weil sie enge Freunde waren. Kriss Worthington versucht, zu Wort zu kommen, aber ohne Erfolg, denn Kayla nahm nie ein Blatt vor den Mund und war sehr redegewandt. Kriss setzt sich dennoch für die Sache ein, wie Kayla sie darstellt, und unterstützt die Bewegung für eine Reform der Polizei. Heute, wenn Kayla am Leben wäre.
Doch da man sie uns weggenommen hat, müssen wir für sie eintreten: für Alternativen zu einem Anruf bei der Polizei, wenn jemand sich in einer psychischen Krise befindet. Wird in einer angespannten Situation die Polizei herbeigeholt, kann dies zu einer Eskalation führen, und dazu, dass der hilfsbedürftigen Person Schaden zugefügt wird.
Unsere Gemeinschaft in der East Bay braucht mehr mobile Krisenteams. Anstatt die 911 anrufen zu müssen, sollten wir die Möglichkeit haben, über ein Krisentelefon Hilfe zu erhalten. In einer solchen Zentrale wären ausgebildete zivile Kontaktpersonen anstelle der Polizei die erste Anlaufstelle, und diese Personen wären für Hilfsbedürftige in Krisensituationen zuständig und würden das Gespräch mit ihnen führen.
Dass schwarze Frauen in Krisensituationen getötet werden, kommt immer häufiger vor. Für Menschen mit psychischen Problemen ist die ständige menschenunwürdige Behandlung eine Belastung. Psychische Probleme werden als kriminell eingestuft, und durch Zwang und Bestrafung als „erste Reaktion“ wird Gewalt hervorgerufen.
Die Stadt Berkeley hatte sieben Jahre Zeit, etwas daran zu ändern, und ist noch immer weit vom Ziel entfernt. Seitdem Kayla getötet wurde, gab es nur minimale Verbesserungen. Die Verfügbarkeit des mobilen Krisenteams der Stadt wurde um eine Stunde erweitert, und noch immer wird bei psychischen Notfällen als Erstes die Polizei gerufen. Das ist nicht genug!
Auch wenn ich in meinem Herzen Verachtung empfinde, denkt mein Geist rational. Ich bin hier, um den nächsten Todesfall zu verhindern, und ich bin hier für all die Familien mit Angehörigen, die an einer geistigen Beeinträchtigung leiden. Kayla war übergewichtig, drogenabhängig, arm, schwarz und schizophren – und sie wurde getötet, weil das alles war, was die Polizisten sahen. Was die Polizei nicht wusste, ist, dass Kayla auch eine Tochter war. Sie war Schwester, Tante, sie wurde von ihren Freunden und ihrer Familie geliebt, und sie hat es nicht verdient, dass sie in dieser Nacht sterben musste. Sie hat es nicht verdient, dass sie auf diesem Fußboden sterben musste und unbedeckt zurückgelassen wurde, und dass man sie als „Es“ bezeichnete. Für die Polizei war sie ein „Es“ und ist es immer noch. So werden wir von ihnen gesehen. Als Untermenschen. Deshalb hat sich auch nichts Nennenswertes getan. Das nächste „Es“ wird dieselbe mörderische Behandlung durch die Polizisten erfahren.
In Kaylas Fall hätte die Anwendung von Gewalt verhindert werden können, hätte die Beamtin ein paar grundlegende Regeln befolgt. Der Anruf ging aufgrund einer Störung durch eine Person ein, die ihre Medikamente nicht genommen hatte und sich in einer psychischen Krise befand.
„Hat diese Person jemanden angegriffen?“ – „Nein.“
„War diese Person eindeutig psychotisch?“ – „Ja.“
Doch anstatt diese grundlegenden Fragen zu stellen, war das Erste, was die Beamtin tat – ohne einen Rettungssanitäter zu rufen oder überhaupt mit Kayla zu sprechen, um ihren psychischen Zustand zu beurteilen – die Suche nach einem Haftbefehl. Keine Ausbildung dieser Welt kann die Einstellung von jemandem ändern, dem nicht daran gelegen ist, Unterstützung oder Beratung anzubieten und so Frieden zu stiften, und der stattdessen das Recht gewaltsam „durchsetzt“. Einsätze der Polizei bei Notrufen, die aus anderen Gründen als Gewalt unter der Nummer 911 eingehen, müssen aufhören.
Wir brauchen Alternativen zur Polizei als erstem Ansprechpartner, wenn jemand sich in einer psychischen Notsituation befindet.
In Berkeley werden 35 Prozent der Notrufe aufgrund psychischer Krisen getätigt, aber das Kriseninterventionstraining für Polizeibeamte und -beamtinnen, die direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit haben, wurde von freiwilligen 40 Stunden auf acht Pflichtstunden reduziert. Der Polizeieinsatz nach dem Anruf im Zusammenhang mit Kaylas psychischer Notsituation war von keinem einzigen Mitglied des Mobilen Krisenteams (Fachpersonal mit einer Ausbildung auf dem Gebiet psychischer Krankheiten) begleitet, das bei der Beurteilung von Kaylas Zustand hätte helfen können. Die Beamtin suchte zuerst nach einem Haftbefehl für Kayla und sprach erst danach etwa fünf bis sieben Minuten lang mit ihr. Dann versuchte sie, Kayla aufgrund eines falschen, unbestätigten Haftbefehls festzunehmen, der auf eine Person mit Kaylas Geburtsnamen, aber anderem Geburtsdatum ausgestellt war. Das Beharren der Beamtin auf Vollstreckung des falschen Haftbefehls hat zu Kaylas Tod geführt.
Doch Kayla hat kein Verbrechen begangen. Sie war weder für sich selbst noch für andere eine Gefahr. Die Person, mit der sie das Zimmer teilte, hatte den Notruf gewählt, weil Kayla ohne ihre Medikamente unruhig geworden war. Es gab sonst niemanden, den sie hätte anrufen können. Kayla hatte zuvor über zwei Monate auf einen Termin bei einem Psychiater in Berkeley gewartet, doch als sie dort ankam, wurde sie abgewiesen, weil der Psychiater nicht verfügbar war.
Auch sieben Jahre später hoffe ich noch auf eine Veränderung. Ich bete dafür, dass diese niederschmetternde, belastende, aber auch motivierende und ermutigende Übung in Geduld für andere mit positiveren Ergebnissen enden wird. Was vor sieben Jahren begann, war eine Bewegung, die einer schwarzen, psychisch beeinträchtigten Transfrau mit dem Namen Kayla Moore eine Stimme und menschliche Würde gab.
Wir kämpfen weiter für Veränderung und die dringend erforderliche Reform beim Umgang mit psychischen Notfällen in Berkeley, der Stadt, in der Kayla lebte und unnötig sterben musste, weil die Polizei bei einem Notruf aufgrund einer psychischen Krisensituation versagt hat. Say Her Name.
Melania Brown:
Meine kleine Schwester Layleen Xtravaganza Cubilette-Polanco starb im berüchtigten Gefängnis Rikers Island in New York City am 7. Juni 2019. Layleen war eine schöne, lebhafte und stolze Afro-Latinx-Transfrau. Sie wurde inhaftiert, weil sie die Kaution von 500 Dollar nicht aufbringen konnte. Layleen war gerade einmal 27 Jahre alt, als sie allein in Isolationshaft starb. Diese Gedanken quälen mich jeden Tag.
Was Layleen widerfahren ist, ist die Wirklichkeit für viele schwarze Transfrauen, die um ihr Überleben kämpfen. Ihre Geschichte steht für all die Transfrauen of Color, die belästigt und verfolgt werden, über die Profile erstellt werden und die im Raster eines gewalttätigen Systems hängen bleiben, in dem viele von ihnen zu Tode kommen. Dieses Schicksal ereilt viel zu viele dieser Frauen, denen der Zugang zu nachhaltiger Erwerbsarbeit verwehrt bleibt.
Meine Schwester wurde 2017 bei einem verdeckten Einsatz wegen Prostitution verhaftet. Layleen hatte lange vergeblich versucht, Arbeit zu finden. Sie erzählte mir, wie sie Fast-Food-Restaurants mit dem Schild „Wir stellen ein“ betrat, aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität jedoch diskriminiert und ihre Bewerbung abgelehnt wurde. Die Sexarbeit war für sie eine Möglichkeit, sich selbst ernähren zu können und unabhängig zu sein. Finanzielle Unabhängigkeit war ihr wichtig. Wahrscheinlich hat sie mich oder meine Familie deswegen nie über ihre Verhaftung informiert. Hätte sie das getan, dann hätten wir die Kaution bezahlt und sie wäre heute bei uns.
Die vorherige Verurteilung wegen Prostitution bedeutete, dass man sie bei jeder nächsten Auseinandersetzung mit der Polizei sofort inhaftieren würde. Als man sie dann im April 2019 aufgrund einer angeblichen Auseinandersetzung mit einem Taxifahrer festnahm – eine Anschuldigung, die meine Familie noch nicht überprüfen konnte –, wurde sie daher sofort nach Rikers Island gebracht. Kurz danach gab es laut einem Bericht der Gefängnisbehörde von New York City die Anordnung, Layleen in Isolationshaft zu bringen – einfach nur, weil sie transsexuell war.
Weil sie eine Transgender-Frau war, wurde meine Schwester alleine in eine Zelle gesteckt, obwohl sie vorbestehende gesundheitliche Beschwerden hatte. Bei der Isolationshaft werden Insassen beliebig lang für bis zu 23 Stunden am Tag mit wenig oder ohne Kontakt zu anderen Personen untergebracht.
Kein Mensch sollte dieser Form von staatlich sanktionierter Folter ausgesetzt werden – erst recht nicht, wenn der einzige Grund seine Identität ist. Die Einzelhaft ist eine grauenhafte Praktik, die von den Vereinten Nationen verurteilt wird und Jahr für Jahr zu viele Menschenleben fordert.
In einem Video, das meine Familie der Presse übergeben hat, sieht man, dass die Vollzugsbeamten lange Zeit nicht nach Layleen sehen. Plötzlich öffnen sie die Tür zu ihrer Zelle, und man sieht die Gefängniswärter lachen – wenige Augenblicke später wurde meine Schwester für tot erklärt. Der Gedanke, dass meine Schwester leiden musste, obwohl sie hätte gerettet werden können, wird meine Familie und mich den Rest unseres Lebens nicht mehr loslassen.
Die Kriminalisierung der Sexarbeit, überhandnehmende Transphobie in der gesamten Gesellschaft und am Arbeitsplatz, die gezielte Verfolgung von Transfrauen sowie Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen durch die Polizei, die Gewalt des Strafvollzugs und die völlige Verachtung menschlichen Lebens – all dies hat zum Tod meiner Schwester beigetragen. Unsere Gesellschaft könnte die systemischen Barrieren beseitigen, die den Zugang zu sicherem Wohnraum, Arbeit und einem Gesundheitssystem, das die Bedürfnisse von Transpersonen berücksichtigt, unmöglich machen, und so Sicherheit für Transfrauen wie meine Schwester schaffen. Stattdessen haben die Systeme, wie sie gegenwärtig existieren, zum Tod meiner Schwester geführt.
Die Erinnerung an Layleen soll aber nicht nur eine Mahnung gegen Gewalt sein. Layleen ist nicht einfach nur ein weiterer Hashtag. Meine Schwester war unglaublich liebevoll und lebensfroh. Einem Fremden hätte sie ihr letztes Hemd gegeben, das habe ich viele Male selbst erlebt. Alle mochten ihre sprudelnde Art, ihr Lachen und ihr großes Herz. Sie war ein großer Fan von Housemusic, tanzte gern und liebte es, mir auf die Nerven zu gehen. Layleens zweite Familie war das House of Xtravaganza der New Yorker Ballroom-Szene, in dem sie sich um viele „Töchter“ kümmerte. Für viele von uns war sie ein Engel, auch für mich. So war Layleen, so war meine Schwester.
Voller Leben, bevor ihr dieses zu früh genommen wurde. Ich werde ihren Namen weiter laut schreien, damit es alle hören, und mich für Gerechtigkeit für meine Schwester einsetzen. Ich werde so lange kämpfen, bis das, was meiner Schwester widerfahren ist, niemandem mehr widerfährt, der einfach nur den Mut hat, nach seiner Wahrheit zu leben.
Gucci Podcast-Moderatorin:
Vielen Dank fürs Zuhören. Mehr über Chime for Change und das neue Zine erfahren Sie in der Beschreibung der Folge.